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Häufigkeit von INR-Kontrollen unter Medikation mit Kumarinderivaten

Aufgrund der geringen therapeutischen Breite von Vitamin K-Antagonisten (Kumarinderivate) ist ein Monitoring zwingend erforderlich, um durch optimale Dosierung eine gute Einstellungsqualität zu erzielen und somit höchste therapeutische Effizienz bei geringstmöglichem Blutungsrisiko zu gewährleisten. Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass die Qualität der INR-Einstellung das Outcome der antikoagulierten Patienten maßgeblich bestimmt [MORGAN et al., 2009]; je besser die INR-Einstellung, umso geringer sind einerseits thromboembolisches Risiko und andererseits das Blutungsrisiko, welches naturgemäß eine Nebenwirkung einer jeden „blutverdünnenden“ Behandlung darstellt.  Das Monitoring der Vitamin K-Antagonisten erfolgt durch periodische Bestimmung des INR-Wertes („International Normalized Ratio“); der INR-Zielbereich für die meisten Indikationen liegt hierbei zwischen INR 2 bis 3. Eine Einstellung über den „Quick-Wert“ sollte heutzutage nicht mehr erfolgen, da dieser Parameter methodenabhängig ist und somit keine Vergleichbarkeit zwischen den in verschiedenen Laboratorien bzw. mit unterschiedlichen Methoden bestimmten Quickwerten gegeben ist.

Das Einhalten des INR-Zielbereichs ist wichtig.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie häufig eine Kontrolle der INR-Werte unter oraler Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten erfolgen sollte. Die optimale Testfrequenz ist durch eine hohe Frequenz der INR-Wert im angestrebten Zielbereich (hohe TTR) definiert, hierdurch wird eine hohe Therapiesicherheit der Medikation mit Vitamin K-Antagonisten erzielt.  INR-Werte außerhalb des Zielbereiches gehen mit einer erhöhten Rate thrombotischer bzw. thromboembolischer Ereignisse einerseits und einer erhöhten Blutungsgefährdung andererseits einher; kritisch sind für die meisten Indikationen INR-Werte unter 1.5 (thrombotisches Risiko) bzw. über 5 (Blutungsrisiko).

Internationale Leitlinien empfehlen eine individualisierte Testfrequenz.

In Leitlinien wird häufig empfohlen, bei Patienten die mit Kumarinderivaten (z.B. Marcumar®, Marcoumar®, Sintrom®, Coumadin®) behandelt werden, monatliche Kontrollen der INR-Werte durchzuführen. Dies ist jedoch nicht unumstritten: In einer Studie wiesen Schulman et al. (2011) darauf hin, dass bei einer stabilen Einstellung im konventionellen Management (periodische Blutentnahmen durch den betreuenden Arzt) bei Patienten unter dem Vitamin K-Antagonisten Warfarin statt monatlichen Kontrollen auch Kontrollen alle drei Monate erfolgen können, ohne dass dies nachteilig für die Patienten ist [SCHULMAN et al., 2011]. Kritikpunkte an dieser Studie umfassen das kleine Patientenkollektiv (226 Patienten) und die geringe Beobachtungsdauer von nur 12 Monaten. Das Patientenkollektiv war zudem stark selektioniert, es wurden nur Patienten aufgenommen, die in den letzten sechs Monaten vor Einschluss eine identische Dosis des Vitamin K-Antagonisten Warfarin einnahmen, bei denen also keine Dosisanpassung erfolgt war. Patienten, bei denen die INR nur alle drei Monate bestimmt wurde, standen trotzdem in Kontakt mit professionellem Personal. 

Die Therapietreue spielt eine große Rolle.

Daher ist die Beobachtung aus dieser Studie nur eingeschränkt verwertbar und das „Strecken“ der INR-Kontrollintervalle sicherlich nur auf ein begrenztes Patientenkollektiv anwendbar. Die sogenannten ACCP-Guidelines (Empfehlungen des “American College of Chest Physicians”)  empfehlen eine individualisierte Testfrequenz der INR-Werte, abhängig von Faktoren wie der Compliance (Therapietreue) des Patienten sowie Änderungen der Lebensumstände, Erkrankungen, Änderungen der Ernährung (Diät) oder Änderungen der Medikation.

Die wöchentliche INR-Bestimmung ist optimal.

Die Empfehlungen unter konventionellem Management sind nicht auf Patienten übertragbar, die ein INR-Selbstmanagement („Patient-Self-Management“ [PSM]) durchführen: hier zeigte sich, dass eine einmal wöchentliche Messung des INR-Wertes eine optimale Einstellungsqualität ermöglicht. In einer Studie von 4.501 Patienten wurde der Einfluss der Messfrequenz im Selbstmanagement auf die Einstellungsqualität der INR-Werte geprüft; hierbei sollte insbesondere die Frage beantwortet werden, wie häufig kritische INR-Werte (< 1.5 oder > 5.0) in Abhängigkeit von der Messfrequenz auftreten [LISKA et al., 2011].

Bessere Einstellung durch mehrmals wöchentliche INR-Bestimmung?

Die Untersuchung belegt eindrucksvoll die Vorteile der wöchentlichen INR-Messung im Vergleich zu geringeren Testfrequenzen bei der Selbsttestung; im Vergleich zur monatlichen Messung wird der Anteil „kritischer“ INR-Werte um ca. 50 % reduziert.  Es kann somit derzeit davon ausgegangen werden, dass einwöchige Testintervalle zu einer optimalen Einstellungsqualität führen. Belege, dass noch kürzere routinemäßige Testintervalle, etwa mehrmals wöchentliche Testungen, die Einstellungsqualität weiter verbessern, fehlen.

Die wöchentliche Testung erlaubt es, Schwankungen der INR-Werte frühzeitig zu erkennen und diesen Schwankungen mit einer Dosisanpassung zu begegnen, bevor Komplikationen auftreten. Die wöchentliche INR-Kontrolle ist somit Standard im Selbstmanagement der oralen Antikoagulation mit Kumarinderivaten (PSM). Eine routinemäßige höhere Messfrequenz ist nicht zu empfehlen, zumal aufgrund der langen Halbwertszeit der Kumarinderivate nach Einstellungsphase zumeist recht stabile INR-Werte erreicht werden.

Nur bei besonderen Situationen häufiger die INR bestimmen.

Beachtet werden muss allerdings, dass in manchen Situationen bei der INR-Einstellung sowie in bestimmten Risikokonstellationen, in denen es zu einer relevanten Beeinflussung der INR-Werte kommen kann, die Messfrequenz vorübergehend erhöht werden muss, um kritische Entgleisungen zu verhindern.   Gründe für eine (vorübergehend) höhere Messfrequenz können beispielsweise sein:
- Entgleisung der INR-Werte mit Erfordernis der Dosisanpassung: Bei Entgleisungen ist eine engmaschige Kontrolle der INR-Werte zu gewährleisten, um durch eine Dosisanpassung den INR-Wert rasch wieder in den Zielbereich zurückzuführen.

Begleiterkrankungen:
Begleiterkrankungen können die Wirkung der Kumarinderivate stark beeinflussen:
- So können entzündliche Erkrankungen beispielsweise über eine Aktivierung der Gerinnung die Wirkung der Gerinnungshemmer abschwächen.
- Bei Durchfällen kann es zu einer starken INR-Entgleisung mit erhöhtem Blutungsrisiko kommen. Daher ist bei Auftreten von zusätzlichen Begleiterkrankungen eine engmaschige Kontrolle der INR-Werte ggf. erforderlich, um eine Entgleisung der INR-Werte frühzeitig zu erkennen und darauf reagieren zu können.
- Umstellung der Begleitmedikation: Zahlreiche Medikamente, die der Patient zusätzlich zur oralen Antikoagulation einnimmt, können die gerinnungshemmende Wirkung beeinflussen, also entweder verstärken oder abschwächen.

Bei Umstellung der Begleitmedikation ist daher (vorübergehend) eine engmaschige Kontrolle der INR-Wert anzuraten.
- Umstellung der Ernährungsgewohnheiten: Da Kumarinderivate „Gegenspieler“ von Vitamin K sind, beeinflusst insbesondere der Vitamin K-Gehalt der Ernährung die Wirkung dieser Gerinnungshemmer. - Bei Umstellungen der Ernährung, etwa im Rahmen von Reisen oder bei Diäten wird eine vorübergehende Intensivierung der INR-Kontrollen angeraten.

Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Sucker, Facharzt für Innere Medizin und Transfusionsmedizin, Hämostasiologie, Bluttransfusionswesen; Coagumed Gerinnungszentrum, Tauentzienstr. 7b/c, 10789 Berlin, E-Mail: praxis@coagumed.de

Referenzen:
Liska G et al. Does patient selftest frequency affect oral anticoagulation therapy time in therapeutic range? Presented at the 11th national conference on anticoagulant therapy, Boston, 2011.
Morgan CL, McEwan P, Tukiendorf A, Robinson PA, Clemens A, Plumb JM. Warfarin treatment in patients with atrial fibrillation: observing outcomes associated with varying levels of INR control. Thromb Res 2009; 124:37-41. 
Schulman S et al. Warfarin dose assessment every 4 weeks versus every 12 weeks in patients with stable international normalized ratios: A randomized trial. Ann Intern Med 2011; 155: 653.