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Die Gerinnungsfaktoren und der therapeutische INR-Bereich

Das Blutgerinnungssystem muss eine ausgesprochen komplexe Aufgabe bewältigen:
Zum einen muss der Blutfluss so gewährleistet werden, dass es nicht zu Verstopfungen von Blutgefäßen (Vene -> Thrombose, Arterie -> Infarkt) kommt, zum anderen muss bei Verletzung eines Blutgefässes sofort ein Blutgerinnsel innerhalb von Sekunden generiert werden, um den Blutverlust zu minimieren.
Diese Aufgabe kann nur durch ein komplexes System gewährleistet werden.

Die Gerinnungsfaktoren

Man hat die Gerinnungsfaktoren des Blutes der Reihenfolge ihrer Entdeckung nach mit römischen Zahlen nummeriert. Später stellte man fest, dass einige dieser Faktoren keine wirklichen Gerinnungseiweiße sind, sondern die Nr. IV z.B. ist das Calcium, welches für die Gerinnung ebenfalls sehr wichtig und unabdingbar ist. Die Aktivierung der Blutgerinnung erfolgt durch die Freisetzung eines sog. Gewebefaktors („Tissue Factor, Faktor III), der aus verletzen Zellen der Blutgefäße freigesetzt wird.

Dieser Gewebefaktor setzt eine Kaskade von Reaktionen in Gang. Zuerst legen sich die Blutplättchen (Thrombozyten) über die defekte Stelle. Die Thrombozyten breiten sich über der Verletzung aus und verhaken sich untereinander (Aggregation) mittels verschiedener Rezeptoren an der Oberfläche der Blutplättchen. Damit die Blutplättchen nicht im Blutstrom davon gerissen werden, werden sie von einem Bluteiweiß, welches an den gefäßauskleidenden Zelle (Endothel) verankert ist, wie mit einem Seil festgehalten. Dieses „Seil“ ist der sog. von Willebrand-Faktor. Dieser von Willebrand-Faktor hilft auch, die Blutplättchen untereinander zu verkleben.

Das Gerinnsel muss verankert werden

Wenn mehrere Schichten von Blutplättchen über der Wunde gestapelt sind, müssen diese noch untereinander festgezurrt werden, da ein Gerinnsel, welches nur aus Blutplättchen besteht, noch instabil ist und leicht im Blutstrom abschwimmen kann.

Daher erfolgt im zweiten Schritt die sogenannte plasmatische Gerinnung, die durch den Gewebefaktor III in Gang gesetzt wird. Neben dem von Willebrand-Faktor und Kalzium sind diverse weitere Bluteiweiße (sog. Gerinnungsfaktoren) an der Bildung eines Fibringerinnsels beteiligt, welches mit den Blutplättchen zusammen einen festen Blutpropf (Thrombus) bildet, der die Wunde komplett und sicher verschließt. Zudem benötigen vier der Gerinnungsfaktoren das Vitamin K zur Aktivierung (orange unterlegten Faktoren II, VII, IX und X). Erst wenn dann nach und nach wieder Gewebe (Kollagen) in die Wunde gesprossen ist, wird das Blutgerinnsel langsam nach und nach wieder abgebaut, dieser Vorgang entspricht der Wundheilung.

Überschießende Gerinnsel werden abgebaut

Um zu verhindern, dass die o.g. Aktivierung der Blutgerinnung zu stark gerät und ggf. lebenswichtige Organe von der Blutversorgung abgetrennt werden, sorgt eine feines Gegenregulationssystem (sog. Fibrinolyse) dafür, dass überschießende Gerinnsel verhindert werden bzw. abgebaut werden. Gerinnungshemmende Substanzen im Blut sorgen dafür, dass die Gerinnungsfaktoren abgeschaltet werden können. Verschiedene genetische (z. B. Faktor V-Mutation Leiden) oder erworbene Veränderungen (z.B. Einnahme von Östrogenen oder hochdosiertem Kortison, Rauchen, Übergewicht u.v.m.) können z.B. dazu führen, dass diese Regulationsmechanismen nicht mehr oder nur noch langsam funktionieren und so zu einem erhöhten Risiko von Thrombosen und Infarkten führen können.

Phenprocoumon wirkt hemmend

Man nutzt die Möglichkeit, einen oder mehrere Gerinnungsfaktoren und/oder die Blutplättchen zu hemmen, therapeutisch.

So wirkt das Phenprocoumon hemmend auf einige Gerinnungsfaktoren, die zu Ihrer Aktivierung Vitamin K benötigen (Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X). Hierdurch verlangsamt sich die Gerinnselbildung ca. auf das 2 - 3 fache der normalen Gerinnungszeit. Diese Verlängerung entspricht dem therapeutischen Bereich eines INR von 2,0 - 3,0.

Auf die richtige Dosis kommt es an

Wenn nun eine zu hohe Dosis von Phenprocoumon eingenommen wird, kommt es zu einer sehr starken Inaktivierung der Vitamin-K-abhängigen Faktoren, die dann im Ablauf der Gerinnung fehlen. Hierdurch steigt der INR-Wert auf Werte oberhalb des therapeutischen Bereiches, also über 3,0. Damit steigt das Blutungsrisiko natürlich je nach Höhe des INR-Wertes entsprechend an.

Wird zu wenig Phenprocoumon genommen, sind noch zu viele Vitamin-K-abhängige Faktoren aktiv und die Thrombosegefahr steigt, der INR liegt dann unter 2,0.

Jeder reagiert unterschiedlich auf die Dosis

Da die Wirkung des Phenprocoumons von Patient zu Patient stark unterschiedlich ist, muss regelmäßig der INR-Wert gemessen werden.

Ursächlich für die Wirkungsunterschiede des Phenprocoumons von Patient zu Patient sind:

  • Genetische Spielarten der Vitamin-K-verarbeitenden Enzyme der Leber (z.B. Cytochrom P450-System, Vitamin K Epoxid Reduktase (VKOR));
  • die Einnahme von anderen Medikamenten mit Einfluss auf Phenprocoumon und in nur recht geringem Maße auch die Ernährung.

Dr. med. Hannelore Rott, Fachärztin für Transfusionsmedizin; Gerinnungszentrum Rhein-Ruhr, Königstr. 13, D-47051 Duisburg; E-Mail: hannelore.rott@gzrr.de