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Antikoagulation ist ein wichtiger Therapiebaustein beim Vorhofflimmern

Das Vorhofflimmern ist eine häufige Herzrhythmusstörung des älteren Menschen; etwa jeder vierte Mensch entwickelt in seinem Leben ein Vorhofflimmern. Im Jahre 2030 werden etwa sieben Millionen Menschen in der Europäischen Union an Vorhofflimmern erkrankt sein. Das Risiko für Schlaganfälle ist in dieser Situation um den Faktor 4 bis 5 erhöht; etwa 15% der ischämischen Schlaganfälle sind durch Vorhofflimmern bedingt.
Das Risiko von Schlaganfällen kann mit einer oralen Antikoagulation erheblich reduziert werden, allerdings mit dem Risiko von Blutungskomplikationen. Gegenstand anhaltender Diskussion ist jedoch die optimale Art der Antikoagulation, welche den erhofften Nutzen mit den Risiken ausbalanciert – vor dem Hintergrund vertretbarer Kosten.

Welche Arten der Antikoagulation stehen zur Verfügung?

Für die Antikoagulation standen jahrzehntelang ausschließlich Vitamin-K-Antagonisten (VKA) wie Phenprocoumon (Marcumar®) zur Verfügung. Ein großer Nachteil dieser Therapie ist, dass ein engmaschiges Labormonitoring durchgeführt werden muss. Aufgrund von genetischen Polymorphismen sowie Interaktionen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten kann die richtige Dosis der VKA nicht vorausbestimmt und muss regelmäßig angepasst werden. Neue orale Antikoagulanzien wurden entwickelt, um diesem Problem zu begegnen: Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®), Edoxaban (Lixiana®) und Dabigatran (Pradaxa®). Aufgrund der direkten Wirkungsweise kann eine fixe Dosis des Medikamentes gegeben werden. Ein Labormonitoring oder eine Anpassung an das Körpergewicht ist in den meisten Situationen nicht notwendig.

Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten

Vitamin-K-Antagonisten haben ihre Wirksamkeit in vielen Studien und jahrzehntelanger Praxis gezeigt. Der große Vorteil ist, dass praktisch in allen Situationen Thromboembolien behandelt bzw. verhindert werden können. Voraussetzung ist jedoch ein engmaschiges Monitoring. Wenn dies aus praktischen Gründen nicht konsequent durchgeführt wird, resultiert eine schlechte Einstellung und ein hohes Risiko von Komplikationen. Eine zu niedrige INR ist mit einem erhöhten Risiko von Schlaganfällen (oder anderen thromboembolischen Komplikationen) verbunden, eine zu hohe INR mit einem erhöhten Risiko von Blutungskomplikationen. Beides kann schwerwiegend oder sogar tödlich sein. Wenn das Monitoring der Antikoagulation beim Hausarzt durchgeführt wird resultiert leider oft eine schlechte Qualität der Antikoagulation. Diese Qualität wird im «Anteil der Zeit im therapeutischen Bereich (TIR, time-in-range)» ausgedrückt, welcher oft weniger als 50-60% ist.

Direkte orale Antikoagulanzien

Die neuen oralen Antikoagulanzien, welche korrekt als „direkte orale Antikoagulanzien“ bezeichnet werden, haben ihre Wirksamkeit und Sicherheit in einer Reihe großer randomisierter klinischer Studien bestätigt. Im Falle des Vorhofflimmerns konnte das Risiko von ischämischen Schlaganfällen mindestens so weit reduziert werden wie mit VKA. Das Blutungsrisiko entsprach in etwa demjenigen der VKA-Therapie, wobei jedoch besonders schwere Blutungskomplikationen wie diejenigen ins Gehirn («intrazerebrale Blutungen») deutlich reduziert werden konnten. Zusammen  mit der einfachen Handhabung führten diese Ergebnisse zu einer weit verbreiteten Einführung der Medikamente, insbesondere bei Patienten mit Vorhofflimmern. Ein wichtiger Kritikpunkt ist jedoch, dass die VKA-Kontrollgruppe in den klinischen Studien eine schlechte Qualität der Antikoagulation zeigte, die TIR lag zwischen 55% und 66%.  Es kann so postuliert werden, dass die Ergebnisse weniger vorteilhaft für die direkten oralen Antikoagulanzien ausgefallen wären, wenn eine hochqualitative Kontrollgruppe verwendet worden wäre.

Selbstmanagement ist ein Therapieansatz mit einer hohen Qualität

Das Selbstmanagement der oralen Antikoagulation wurde mit dem Ziel entwickelt, eine qualitativ hochstehende Form der Antikoagulation anzubieten. Im Kern des Konzeptes steht die Selbstverantwortung des Patienten, das engmaschige Monitoring, und die an die individuelle Situation des Patienten angepasste Dosierung. Eine große Anzahl von klinischen Studien bestätigte, dass mit dem Selbstmanagement eine hohe Qualität der Antikoagulation erreicht werden kann. Die TIR lag meist zwischen 75% und 80%. Eine Reihe von randomisierten Studien und Meta-Analysen bestätigte nicht nur die höhere Qualität verglichen mit dem Routine-Management, sondern ein geringeres Risiko von Komplikationen. Diese Ergebnisse wurden auch in der täglichen Praxis bestätigt – wie in mehreren Studien gezeigt wurde. Das Selbstmanagement der oralen Antikoagulation ist inzwischen in vielen europäischen Ländern eine etablierte Therapieform.

Kosteneffizienz im deutschen Gesundheitssystem

Wenig bekannt war bisher über die Kosteneffizienz der verschiedenen Therapieschemata, insbesondere im Hinblick auf das deutsche Gesundheitssystem. In einer kürzlich publizierten Studie wurde dies für das Selbstmanagement im Kontrast zu direkten oralen Antikoagulanzien mit einer sensitiven Methode modelliert. Das Risiko von Komplikationen wurde publizierten klinischen Studien entnommen und die Kosten des deutschen Gesundheitssystems berücksichtigt. Es wurde angenommen, dass eine TIR von 78% erreicht wird. Unter angemessenen Voraussetzungen wurde eine Kostenersparnis zwischen Euro 603,- und 762,- pro Patient errechnet.

Zusammenfassung

Kürzlich publizierte Modellrechnungen suggerieren, dass das Selbstmanagement der Antikoagulation kosteneffizient ist, auch im Vergleich zu direkten oralen Antikoagulanzien.

 

PD Dr. med. Michael Nagler, Universitäres Institut für Klinische Chemie, Inselspital Universitätsspital, 3010 Bern, Schweiz

Referenzen:
Diel R, Lampenius N (2019) Journal of Health Economics and Outcomes Research 6(3):142-59.