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Wenn die Dosis sich verändert – was steckt dahinter?

Orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA): Einige mögliche Ursachen einer veränderten Erhaltungsdosis

Grundsätzlich besteht eine erhebliche interindividuelle Variabilität hinsichtlich der Erhaltungsdosis von Vitamin-K-Antagonisten (VKA), die benötigt wird, um den INR-Wert („international normalized ratio“) im angestrebten Zielbereich zu halten. Dies ist durch zahlreiche Faktoren, unter anderem auch durch eine interindividuell unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber VKA, bedingt.

Häufig werden unter der Medikation mit VKA schwankende INR-Werte beobachtet, so dass dann – insofern der INR-Zielbereich unter der bis dato verabreichten Dosierung nicht mehr erzielt bzw. über- oder unterschritten wird – eine Änderung der erforderlichen Erhaltungsdosis erforderlich wird. In vielen Fällen lassen sich plausible Erklärungen für die INR-Schwankungen bzw. für eine Änderung der Erhaltungsdosis finden. Einige klinisch bedeutsame Faktoren, die die orale Antikoagulation mit VKA beeinflussen können, werden nachfolgend kurz dargestellt:

Änderung der Vitamin K-Zufuhr

Vitamin-K-Antagonisten (VKA) üben ihren antithrombotischen Effekt durch einen Eingriff in den Vitamin-K-Stoffwechsel aus. Somit ist verständlich, dass die Vitamin K-Zufuhr den Effekt dieser Antikoagulanzien maßgeblich beeinflussen kann. Eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten kann somit eine Veränderung der Erhaltungsdosis der VKA bewirken. Hier führt eine verringerte Vitamin K-Zufuhr zu einer Verstärkung des Effektes der VKA, was dann zu erhöhten INR-Werten und einem erhöhten Blutungsrisiko führt und somit eine Reduktion der VKA-Dosierung erfordert. Hingegen schwächt eine erhöhte Vitamin K-Zufuhr den Effekt der VKA ab, so dass dann eine höhere Dosierung der VKA erforderlich wird.

Achtung bei Vitamin-Präparaten

Unter Therapie mit VKA sollte daher auf eine gleichmäßige Zufuhr von VKA geachtet werden, um eine stabile Antikoagulation zu gewährleisten. Verzicht auf Vitamin K führt häufig zu einer Instabilität der Werte und sollte nicht erfolgen. Ebenso sollten „Vitamin K-Exzesse“ nach Möglichkeit vermieden werden. Wichtig ist, dass auch Nahrungsergänzungsmittel oder Vitamin-Präparate Vitamin K enthalten können, was dann bei paralleler Einnahme den Effekt von VKA abschwächen kann. Dies ist daher zu beachten, wenn parallel mit der Einnahme von VKA auch entsprechende Präparate eingenommen werden. Erfahrungsgemäß kommt es häufig bei Auslandsaufenthalten, etwa Urlaubsreisen, zu einer Veränderung der Erhaltungsdosis der VKA, da hierbei – oft auch unbewusst – das Ernährungsverhalten passager geändert wird, was dann auch zu einer veränderten Vitamin K-Zufuhr führt; daher sind dann häufigere INR-Kontrollen sinnvoll, um ggf. die Dosierung der VKA an die geänderten Ernährungsbedingungen anzupassen.

Änderungen der Begleitmedikation

Zahlreiche Medikamente können den antithrombotischen Effekt der VKA beeinflussen, wobei sowohl eine Abschwächung des Effektes mit Reduktion des INR-Wertes und erhöhtem Dosierungsbedarf der VKA als auch eine Verstärkung des Effektes mit INR-Erhöhung und vermindertem Erhaltungsbedarf der VKA resultieren können. Beispiele sind etwa der ausgeprägte Einfluss einer Medikation mit dem Antibiotikum Rifampicin auf die Antikoagulation, unter dieser Medikation tritt quasi eine „Resistenz“ gegenüber VKA auf, so dass während der Therapie keine effektive Antikoagulation mit VKA möglich ist. Deutlich häufiger ist eine Wirkungsverstärkung der VKA durch parallele Einnahme anderer Pharmaka; beispielsweise verdrängen die häufig eingesetzten nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) die VKA aus der Plasmaeiweißbindung und können somit den antikoagulatorischen Effekt der VKA verstärken. Zahlreiche Interaktionen anderer Medikamente mit VKA sind beschrieben, diese werden hier nicht detailliert dargestellt.

 

Stets muss bei Wechsel der Begleitmedikation die Frage gestellt werden, ob hierdurch auch eine Veränderung der Einstellungsqualität bzw. der erforderlichen Dosierung der VKA resultieren kann; dies ist ggf. auch bei der Auswahl der Begleitmedikation zu berücksichtigen. Ist unklar, ob es zu einer Beeinflussung kommen kann, sollten bei einem Wechsel der Begleitmedikation vorübergehend engmaschigere INR-Kontrollen durchgeführt werden, um bei einer relevanten Beeinflussung des INR-Wertes die VKA-Dosierung entsprechend anpassen zu können. 

Begleiterkrankungen

Begleiterkrankungen können sich auf die Einstellungsqualität unter VKA auswirken und eine Anpassung der Antikoagulanziendosis erfordern.

Von besonderer klinischer Bedeutung sind Infektionen, die grundsätzlich über eine Verknüpfung von Entzündungs- und Gerinnungssystem zu einer Übergerinnbarkeit (Hyperkoaguabilität) führen können. Die vermehrte Aktivierung der Gerinnung kann also den Effekt der Antikoagulation im Rahmen schwerer entzündlicher Prozesse nachhaltig beeinflussen und prinzipiell den antikoagulatorischen Effekt der VKA abschwächen. Ggf. ist dann im Rahmen eines Infektes gar eine passagere Erhöhung der Erhaltungsdosis der VKA vorzunehmen. Hier muss jedoch betont werden, dass der Effekt der Entzündungsreaktion auf die Antikoagulation durch andere Einflussfaktoren, etwa die medikamentöse Therapie der Entzündung, weiter modifiziert werden kann.

Achtung bei Durchfallerkrankungen

Starke INR-Entgleisungen unter oraler Antikoagulation mit VKA mit erhöhtem Blutungsrisiko können bei Durchfallerkrankungen auftreten. Daher muss bei schweren Durchfällen, etwa im Rahmen einer Magen-Darm-Infektion, die Dosierung der VKA in der Regel reduziert oder gar passager ausgesetzt werden.  Hier sind engmaschige INR-Kontrollen geboten, um ggf. eine Überantikoagulation zeitnah zu erkennen und entsprechend durch Modifikation der VKA-Dosierung reagieren zu können.

Zahlreiche andere Erkrankungen, wie schwere Lebererkrankungen (Leberzirrhose) oder schwere Herzinsuffizienz, können sich ebenfalls auf die Antikoagulanzien-Dosierung auswirken. Hierauf wird im Detail nicht weiter eingegangen.

Fazit

Zahlreiche Einflussfaktoren können zu einer Beeinflussung der Einstellungsqualität unter Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten (VKA) führen und dann eine Anpassung der Dosierung der Antikoagulanzien erfordern. Wichtige hier diskutierte Einflussfaktoren sind Änderung der Ernährungsgewohnheiten, Änderungen der Begleitmedikation sowie Begleiterkrankungen. Da der Einfluss der genannten Faktoren auf die INR-Einstellung und die Erhaltungsdosierung der VKA im Einzelfall schwer voraussagbar und interindividuell sehr verschieden sein kann, wird unbedingt empfohlen, bei entsprechenden Veränderungen die INR-Einstellung, zumindest vorübergehend, engmaschiger zu kontrollieren und ggf. eine Anpassung der Dosierung der VKA vorzunehmen. Hier sind geschulte Patienten im Selbstmanagement („patient-self-management“ [PSM]) klar gegenüber Patienten im konventionellen Management der Antikoagulation im Vorteil, da sie bei Änderung der genannten Einflussfaktoren rasch selbst eine INR-Kontrolle durchführen und ggf. eigenständig eine Dosisanpassung der VKA vornehmen können.

Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Sucker, Facharzt für Innere Medizin und Transfusionsmedizin – Hämostaseologie, Bluttransfusionswesen;
Coagumed Gerinnungszentrum, Tauentzienstrasse 7 b/c, 10789 Berlin; E-Mail: praxis@coagumed.de